Warum das Rorschach-Prinzip wahr ist:

Wahres wird durch Wiederholung nicht falsch - Thesen zu Freiheit und Schuld und den Watchmen und überhaupt


Die schrägsten Vögel - nicht nur Enten und Fledermäuse - haben mitunter die treueste Anhängerschaft. Gelegentlich verdienen sie sogar ihr Gefolge besonders dann, wenn es guten Herzens und reinen Willens ist. 

Ein solcher Vogel - nicht Ente noch Fledermaus - ist gewiss Rorschach. Keinen, der die Watchmen gelesen (A. Moore) oder gesehen (Z. Snyder)  hat, wird dessen Haltung unbeeindruckt lassen, lieber zu sterben, als Kompromisse um die Wahrheit zu machen, hier: sich im Dienste des greater good - einer Erfindung essentiell korrupter Leute - und also willig und besten Gewissens korrumpieren zu lassen.

Dabei geht es nicht um das ohnehin fruchtlose Herumgerätsel, ob man ggf. solche Größe selber aufbrächte - das wird man im ungünstigsten Fall früh genug sehen können. Und ebensowenig darum, dass einen die Vorahnung des eigenen Verhaltens ob der eigenen langweiligen und gänzlich durchschnittlichen Unfähigkeit mit stillem Neid oder Abscheu gegen ein derart reaktionären Stiesel und Sturkopf - der blöderweise auch noch ausnahmsweise recht hat und nicht einmal gut aussieht - erfüllen mag. Derart private Gefühle stehen hier nicht zur Debatte. Sie nicht einmal ein Gegenstand irgendeiner möglichen sachlichen Debatte - außerdem ist Gerede über private Gefühle obendrein rasant langweilig.

 

Und wenn schon langweilig, dann richtig und gleich philosophisch: Warum hat also Rorschach recht?

 

Dazu einige Thesen zu Freiheit und Schuld, die eigentlich wahre Propositionen sind, und nicht nur von Juristen, sondern von allen Leuten geglaubt werden sollten - auch von Neurowissenschaftlern und Hirnforschern allgemein, die das zwar generell tun, es aber ebenso generell nicht zugeben werden.  Denn wo käme man denn hin, wenn das akademisch völlig ungeschulte, ja unerhobene 08/15-Alltagsbewusstsein am Ende recht hätte und tatsächlich einmal etwas schlicht so wäre, wie es aussieht?

 

Merke: Eine Erklärung ist nicht schon dadurch wissenschaftlich, dass sie der Alltagserfahrung widerspricht.

 

Freiheit in der Welt

  1. Jede praktische Norm sagt ein Sollen aus, und jedes Sollen ist prinzipiell auf Zukünftiges bezogen. Das Eintreten dieses Zukünftigen selbst darf nicht bloß möglich, sondern muss kontingent sein. Denn eine Aufforderung zu etwas, das sowieso mit Notwendigkeit passieren wird, ist Unsinn.
  2. Normen beziehen sich auf contingentia futura, d. h. zukünftige, zufällige Ereignisse. Die jeweilige Zukunft ist unbestimmt: Es gibt jederzeit unendlich viele mögliche Fortsetzungen eines aktualen Weltzustandes. Auch aus der Gegebenheit aller physischen und mentalen Bedingungen für eine bestimmte Veränderung der Welt durch Handeln folgt diese noch nicht. Denn von der Möglichkeit auf die Wirklichkeit führt kein gültiger Schluss.
  3. Kontingente mögliche Weltzustände werden durch Willensakte determiniert. Diese Willensakte müssen selber indeterminiert sein, um die Kontingenz der Fortsetzung zu gewährleisten. Der Wille ist daher indeterminiert. Darin besteht seine Freiheit. Die Möglichkeit des Rechts - wie der Moral - ruht also auf einem metaphysischen Fundament.
  4. Metaphysik zu betreiben bedeutet nicht sogleich die Annahme der Existenz Gottes und der lieben Engelein, d. h. transzendenter Entitäten. Welche Art von Metaphysik hier zugrundeliegt, d. h. welche Arten von Dingen die Welt bevölkern mögen, ist noch nicht festgelegt - mit einer Ausnahme: Es muss in der Welt Dinge geben, denen das Vermögen der Willensfreiheit zukommt.
  5. Aus der Existenz solcher Dinge folgt die Indeterminiertheit des ganzen Weltverlaufs. Daraus ergibt sich eine epistemische Konsequenz: Auch aus dem vollständigen Wissen um den gegenwärtigen Weltzustand und alle vergangenen Weltzustände kann nicht mit vollständiger Gewissheit auf die Beschaffenheit zukünftiger Weltzustände geschlossen werden. Die Determiniertheit des Weltgeschehens reicht also immer nur bis zur jeweiligen Gegenwart. Die Zukunft bleibt offen.
  6. Nur deswegen besteht überhaupt die Möglichkeit kausaler Analyse durch kontrafaktische Konditionale ("If kangaroos had no tails, they would topple over.", D. Lewis). Denn bei vollständiger Determiniertheit könnte kein kontrafaktisches Konditional über ein Ereignis formuliert werden, das nicht einen Widerspruch enthielte.

Von der Norm zur Schuld 

  1. Normen beziehen sich also keinesfalls auf Weltzustände, sondern vielmehr auf mögliche Handlungen, die geeignet sind, bestimmte Weltzustände herbeizuführen, aufrechtzuerhalten oder zu verhindern.
  2. Was an Handlungen unter der vollständigen Kontrolle des Handelnden steht, ist ihr Wollen. Normen adressieren den Willen. Der Wille ist vollständig frei, insofern er sich derart an Normen orientieren kann, dass er ihnen folgen oder nicht folgen kann.
  3. Bloßes böses Wollen kann kein Gegenstand rechtlicher Beurteilung sein. Dies gilt nur für physische Veränderungen der Welt. Denn deren Vorliegen kann bemerkt und kausal erklärt werden.
  4. Wenn die kausale Erklärung zu einem Akt eines freien Willens führt und dieser gegen eine praktische Norm zu verstoßen scheint, besteht Anlass zu untersuchen, ob diese Norm auf das Geschehen angewendet werden muss. Diese Untersuchung kann dazu führen, jene einzelne Weltveränderung durch die Anwendung der Norm zu einem Fall der Norm zu erklären.
  5. Diese doppelte Prüfung nennt man Zurechnung. Aus ihr resultiert die Zuschreibung von Schuld oder Verdienst.
  6. Schuld und Verdienst folgen jedoch nicht mit Notwendigkeit aus der Zurechnung, sondern nur wenn zwei Bedingungen erfüllt sind:
    1. Der Handelnde hätte zum Zeitpunkt seines Handelns auch anders handeln können müssen.
    2. Der Handelnde hätte zum Zeitpunkt seines Handelns um seine normative Lage wissen sollen.
  7. Die Erfüllbarkeit der ersten Bedingung (6.1) setzt die Wahrheit dreier Propositionen voraus, die metaphysischer Natur sind:
    1. Für jeden aktualen Zustand der Welt gibt es unendlich viele realmögliche Fortsetzungszustände, d. h. der jeweils zukünftige Weltverlauf ist nicht determiniert.
    2. Es gibt Dinge, die ein Vermögen zur Determination zukünftiger Weltzustände durch eigenes Handeln besitzen, d. h. es gibt spontan agierende Wesen.
    3. Unter diesen Wesen gibt es welche, die ein Vermögen zur Erkenntnis alternativer Handlungsmöglichkeiten und zur Auswahl unter diesen verfügen, d. h. es gibt Wesen, die nach Belieben den künftigen Weltverlauf determinieren können.
  8. Die Erfüllbarkeit der zweiten Bedingung (6.2) setzt die Wahrheit einer weiteren Proposition voraus, die moralischer Natur ist:
    1. Es gibt Wesen, die ihr Handeln nach Belieben durch praktische Normen bestimmen können, d. h. es gibt freie Wesen.
  9. Schuld liegt immer in einem freien Verstoß gegen eine Norm.


Von der Schuld zur Strafe

  1. Aus einer erfolgreichen Zurechnung zu Schuld oder Verdienst folgt immer eine negative oder positive Sanktion: Strafe folgt auf Schuld, Belohnung auf Verdienst.
  2. Denn eine folgenlose Zurechnung zu Schuld oder Verdienst würde die Normativität der Norm eliminieren:
    1. Eine Welt, in der praktische Normen gelten, wäre dann nämlich nicht mehr von einer Welt zu unterscheiden, in der keine praktischen Normen gelten.
    2. Folglich könnte in so einer Welt auch keiner wissen, ob hier Normen gelten oder nicht.
    3. Also wären Befolgung und Anwendung von Normen schlechthin freigestellt.
    4. Also würden Normen ein Sollen aussagen - sonst wären es keine Normen - und es zugleich jedermanns Belieben anheimstellen, diesen zu folgen oder auch nicht - sonst würden sie verpflichten und nicht freistellen.
    5. Ein solches Gebilde, das bezogen auf dasselbe zugleich ein Sollen und ein Nicht-Sollen aussagt, ist aber keine Norm, sondern ein Unsinn.
  3. Die Sanktion als Folge des Verstoßes gegen eine Norm folgt deshalb schlicht analytisch aus dem Begriff der Norm.
  4. Evil must be punished.