"...für mich..."

Egomaner Relativismus mit dem Anstrich der Demut, oder: der universal marodierende Pfarrsprech


Jeder, der das besondere Unglück hat, im Land der Frühaufsteher und ebenso sonstwo "in diesem, unserem Lande" (H. Kohl) selber auch früh aufstehen zu müssen (wg. schulpflichtiger Kinder, ganz früh beginnender Erwerbstätigkeit etc.), hat die täglich wiederkehrende Chance, sich schon früh, sehr früh am Morgen für den Tag zu stählen: Deutschlandfunk, 0635: Morgenandacht.

Dort berichten Funktionsträger der evangelischen und katholischen Kirchen im wöchentlichen Wechsel über ihre selbsteigenen, ja -eingemachten Lebens- und Glaubenserfahrungen, in denen notgedrungen stets der Funke der Spiritualität zu funzeln hat. Das ist im Schnitt amüsant bis enervierend und ganz seltenst bedenkenswert, halt im normalen Rahmen einer Tätigkeit, zu deren Beschreibung die Produktion von Spiritualität gehört, forciert.

Der übliche Verlauf geht so: Ausführliche Beschreibung einer Situation aus dem eigenen Alltag, genauer: meist aus dem von mehr oder weniger gut Bekannten (ca. 3 Min.), dann Zündung des Spiritualitäts-, oder besser: Bedeutsamkeitsnachbrenners und ab geht's (ca. 2 Min.). Diesen Abgang in's zumeist völlig Irrationale bis Aberwitzige geschieht in der Regel nicht offen Unfug ankündigend, etwa mit den Worten "Dies ist eine gute Überleitung. " (V. Feldbusch) oder "And now something completely different" (M. Python), sondern mit der klassisch schönen homiletischen Geheimwendung "für mich". Dies aber ist eine der verabscheuungswürdigsten sprachlichen Gemeinheiten überhaupt.

"Für mich" - das erlaubt alles und verpflichtet zu nichts. Es erfolgt eine Bedeutsamkeitsaufladung, die allein durch das private Empfinden des Aufladers abgedeckt ist und gerade dadurch unangreifbare (Schein)Autorität gewinnen soll. Denn wer wäre ich denn, daß ich eine hochpersönliche Empfindung eines Mitmenschen in Frage stellte? Zumal sie mich eigentlich gar nichts angeht. Zugleich aber wird eine Bedeutungsbehauptung in den Raum geblasen, die nicht nur private, sondern irgendwie sachbezogene Geltung beansprucht. Und dann ist sie da und prangt, durch die heilige - und schon sehrsehr deutsche - Subjektivitätsduselei immunisiert gegen alle Kritik.

Nun könnte man sagen: Wenn Dich die Bedeutsamkeitsgefühlswallungen anderer Leute nicht interessieren, dann schalt das Radio halt um 0635 nicht ein oder eben aus! Allein, so einfach ist es nicht. Der oberwähnte Stählungsbedarf für den Tag war schon ernst gemeint. Er ist Voraussetzung für Gewöhnung. Und die tut not. Denn die Fürmichelei tobt schier allüberall. Nicht nur Kirchenvertreter bei ihrer Erbauungsarbeit, sondern Politiker, Journalisten, sog. öffentliche Intellektuelle und sonstige Bedeutsamkeitsproduzenten,  aber auch - oweh! - Studierende und Schüler (von wem's die wohl haben mögen?) fürmicheln gnadenlos, daß es eine (un)rechte Art hat.

S' ist ja auch rasant bequem: Man sagt etwas Bedeutsames - hat folglich etwas zu sagen -, betoniert es mit der allemal zu respektierenden Wucht persönlichen Empfindens und - das ist das Perfide - relativiert es zugleich. Am liebsten dann, wenn eigentlich nach der Präzision und Klarheit einer Begriffsdefinition gefragt wäre. Wird gewagt, auch nur zart auf die geringe Relevanz persönlichen Empfindens bei der Klärung allgemeiner Sachfragen hinzuweisen, stellt sich gar unversehens das Recht ein, beleidigt zu sein und sich je nach Temperament in verletztes Schweigen zu hüllen oder - ganz unphilosophisch - auf die allfällige Subjektgebundenheit und also Beliebigkeit aller Bemühung um begriffliche Erkenntnis zu verweisen oder schlicht zu geifern (letzteres vielleicht am besten etwas später und heimlich in den anonymen Tiefen des Internets).

"Für mich" - das ist nichts anderes als die Lizenz zum Labern, gekleidet in das äußerlich härene Gewand epistemologischer Demut, innen aber gefüttert mit Sammet, Seide und flauschigstem Pelz. Vielleicht entspringt die öffentliche Hochschätzung des privaten, aber im "für mich" veröffentlichten Gefühls ja einfach nur träger Selbstzufriedenheit, der hochverständlichen Abneigung gegen geistige Anstrengung? Der Freude an selbstproduzierten Schallwellen im Raume? Dem Bedürfnis, andern  kundzutun, daß man auch da ist? Der romantischen Wurschtigkeit gegenüber den biederen Anforderungen der Rationalität? Man weiß es nicht, und es hilft auch nichts. Es ist bestimmt ganz hoffnungslos.

Vielleicht aber besteht irgendeine Verbindung zwischen dem exuberanten Hochwert des "Für mich" und der mehr und mehr einreißenden Tendenz, die Verletzung von Gefühlen unter Strafe stellen zu wollen?? Gruselig, gruselig. Da sollte einer sich mal Gedanken drüber machen. Aber bitte nicht bloß für sich und nicht nur über bestehende sog. "Strafbarkeitslücken" oder die Schwierigkeiten der Beweiserhebung...