Entengrütze 8

Friedrich Hölderlin: Hyperion (1797/99)

Jetzt mal was Superduperklassisches - das naturgemäß gar nicht zu Göthens Gähn- und Schillerns Volldampfklassik gehört, weil's halt von Hölderlin ist. Also im besten Sinne nicht von dieser Welt und obendrein angemehmerweise auch nicht Olympierliteratur. Sondern rasend, sonnendurchflutet, nebelfinsterabgründig, morgentaubeträuft usw. usf. Aber Obacht: Auf keinen Fall auf die Handlung achten oder sie gar ernstnehmen! Sondern auf die völlig unglaubliche Sprache! Denn:

Die Apotheose des Pubertisten

Es ist nämlich "irgendwie scho' au'" (J. Löw) wieder so wie beim Stifter von der letzten Entengrütze: Der Protagonist und seine Kumpels sind praktisch nicht auszuhalten. Hier nicht weil bildungspießbieder, sonder totalpubertistisch.

Junger Mann von besten Anlagen (Titelheld) etc. bildet sich ein, Griechenland zuerst notfalls im Alleingang vom Türkenjoch befreien und die Antike wieder herstellen zu müssen, freundet sich in recht exaltierter Weise mit einem Gleichirren (Alabanda) an, zerstreitet sich mit demselben, verliebt sich danach auf einer schon unwirklich idyllischen Insel (Kalaurea) in ein wirklich schlaues und hübsches Mädchen (Diotima), es sich auch in ihn und dann geht's aus ritueller Dämlichkeit bergab: Osmanischer Krieg (1770) bricht aus, Altkumpel meldet sich wieder und auf geht's zum Türkenrausschmeißen. Bis hier geht's noch ganz gut.

Dann aber schreibt der dumme Bub zwei ganz verheerende Briefe - das Ganze ist ein Briefroman - an das zuhause gebliebene Mädel. Im ersten davon fühlt er sich wahnsinnig Scheiße, weil der von ihm in diffuser Weise irgendwie militärisch ausgebildete und geführte Freiheitskämpferhaufen bei erster sich bietender Gelegenheit alle Disziplin fahren läßt und munter plündert und brandschatzt. Folge: Tiefe Verantwortungsdepression - "Sie sind alle so dumm, und ich bin ihr Chef." - und erster Blödbrief des Inhalts, daß er nun nie wieder Diotima unter die Augen treten könne, weil unwürdig etc. bla. Und bevor die Gute noch schreiben kann, daß das alles so schlimm auch wieder nicht sei, zweiter Blödbrief mit Rückkehrmöglichkeitsausschluß: Man werde jetzt dann gleich morgen an der Seeschlacht zu Tschesma teilnehmen und dort garantiert draufgehen, und dann wär' eine Ruh' und heimkommen ginge sowieso nicht mehr, weil tot.

Schlacht wird gewonnen, Hyppel planwidrig nur verwundet und als er nach fürchterlichem Hin-und-Her draufkommt, daß es bei und mit der feinen Diotima doch "scho' au'" (J. Löw) ja eigentlich ganz narrisch schön wär, ist die schon aus Kummer dahingesiecht und eingegangen. Obwohl: Zu des Pubertonen eigener Sicherheit (ehem. Freiheitskämpfer und so) wird ihm vom Besuch des netten Inselchens mit angeblich frischem Grab drauf abgeraten, ein solcher nachgerade schlankweg untersagt. Nix Gewisses weiß man also nicht. Jedenfalls wandert der Blödi dann nach Deutschland, wo es ihm wegen der komischen Leute - immer noch feine, tw. (wenn man manche Gefilde bedenkt) sehr treffende Beschreibung - schon gleich gar nicht gefällt, so daß er schließlich wieder in Griechenland vor sich hin eremitelt: "So dacht ich. Nächstens mehr."

Das ist nun freilich alles ganz fürchterlich, und zeigt wieviel Panik die Aussicht auf ein Normallebens inkl. "Vollglück in der Beschränkung" (Jean Paul, glaub ich) auslösen kann und daß echt was dazugehört, dann aber auch ein solches zu führen, sobald sich die Gelegenheit bietet.

Darauf kommt es auch gar nicht an. Denn die Sprache ist balsamisch. Wenn es nicht dastünde, möchte man niemals glauben, daß Deutsch so klingen kann. Da stehen Worte wie "Lieblingin"!!

Es ist herzzereißend, hirnzerbröselnd, schlicht: gaz arg schön. LESEN!

Und die Gedichte des Hrn. Hölderlin sollte man, so man reinen Herzens und guten Willens ist, sowieso immer am oder noch besser: im Herzen tragen.

Hören kann man dazu (nicht zu Gedichten: zu denen kann man außer ihrer selbst gar nix hören) eigentlich nur noch:

Auf Wiederhören #2: Slayer, Hell Awaits (1985)

Dazu muß überhaupt nichts weiter gesagt werden. Die beste Platte, die diese begnadeten Musiker jemals gemacht haben. Immer noch so frisch wie Hölderlins Hyperionbriefdeutsch. Der beste Song darauf aber ist: "At dawn they sleep". Die anderen sind aber auch die besten.

Aloha.