Sprach-ver-ro-hung: 1. Advent

Ein anfängliches Getast

Von einem Hrn. Lévi-Strauss haben wir ja gelernt, daß das Gegenteil des Rohen das Gekochte sei. Das ist vielleicht ein ebensoguter Anfang wie jeder andere. Außerdem hat er den Vorteil, daß er nicht gleich von vorneherein nach dem hierzulande am allerliebsten in höchstmöglicher Dosierung gebrauchten Gewürz der Moralinsäuernis schmeckt.

Vielmehr bezeichnen das Rohe und das Gekochte zwei entgegengesetzte Zustände ein und derselben Sache, normalerweise eines Nahrungsmittels, also von etwas zum Essen bzw. von etwas, das man grundsätzlich nicht nur essen, sondern auch verdauen kann ohne einzugehen. Auch ist schön, daß irgendwo zwischen beiden das Halbgare liegt, das vielleicht auch noch irgendwie zu analytischen Zwecken gebraucht wird. Und gerade in der Advents- und Weihnachtszeit, die so arg besinnlich ist, daß hier heute - an einem Sonntag !! - die Läden offenhaben sollmüssen, paßt es eh' gut, vom Essen zu reden.

Eine komische Metapher

Um dabei zu bleiben: Beim Essen geht es ja noch und leuchtet geradezu sofort ein.

Jeder weiß: Manche Sachen kann man sehr gut roh essen (Feldsalat, Austern), andere aber überhaupt nur gekocht (Hallimasch, Maronen). Manche Sachen kann man roh wie gekocht essen, schmecken aber nur entweder roh (Feldsalat) oder gekocht (Nudeln). Manche Sachen schmecken sowohl roh (Fisch in Seetang, sog. "Sushi", wie einige Leute behaupten) als auch gekocht. Manches schmeckt weder roh noch gekocht (Rote Beete, Kürbis) oder man kann es weder roh noch gekocht verdauen (Steine - dafür aber leicht zu fangen). Usw. usf.

Und ebenso ist bekannt, daß gekochte Sachen zumeist leichter verdaulich sind als rohe oder überhaupt bekömmlich sind (Linsen und ähnliche Explosivspeisen). Gleichermaßen wissen oder meinen wir zumindest, daß unsere Vorfahren - man kann es etwa noch an den Affen beobachten - unempfindlichere Mägen (und evtl. weniger feine Zungen) hatten: Denn so viel gekocht wurde da ja zuerst nicht, folglich eher roh gemahlt. Allerdings, kaum daß man das Feuer hatte, - Zack! - ging's los. Kleiner Schritt für einen Menschen, großer Schritt für die Menschheit...bla...

Nun könnte man auf den Gedanken verfallen, einfach dieser Metapher nachzuschleichen. Ursprachvertrauen oder Sprachstalking, quasi: Gekochtes verdaulicher/ bekömmlicher als Rohes = Gekochtes zivilisierter, gar kultivierter als Rohes = zivilisierte, gar kultiviertes Sprechen leichter verdaulich/ bekömmlich = leichter verständlich/ erträglich als rohes Sprechen. Also: Zivilisierte/ gar kultivierte Sprache insgesamt und grundsätzlich besser, wenigstens angemessener als rohe Sprache. Also Sprach-ver-ro-hung Regress vom zivilisierten/ gar kultivierten in den früheren, barbarischen, gar äffischen Stand, eben vom Gekochten wieder zurück zum Rohen. "Alles klar?" (J. Klinsmann)

Klar, klar! . Nur -- es geht halt nicht, nicht um's Verrecken.

Man kann sich nämlich anstellen, wie man will: Auch wenn man sich auf den Kopf stellt und mit den Beinen wackelt: Etwas, das einmal gekocht worden ist und ist, bekommt man um's Verrecken nicht mehr roh. Das ist ein unbestreitbarer "Fakt" (Neuschwdt.). 

Der gegenteilige Glaube, der so tut, als stecke er hinter der Metapher, ist im Grunde genommen ein in hohem Maße Rührse(k)liger, Sentimentaler, etwa von der Art, wie ordentlich- bis gutverdienende Feinviertelfuzzis (-fuzzinen) sogar dann, wenn sie ihre gewohnte Outdoormarkenklamotten mit Fellen (nicht jedoch die Grabbelprofile der Supersandalen gegen zentimeterdicke Hornhaut) vertauschen und mit perfekt geplegten Strahleblendzähnchen auf ihrem "paleofood" (wenn nicht mehr gluten-, so doch garantiert mammutfrei) herumkauen, nicht in Wirklichkeit zu Neandertalern oder ganzganz frühen, im Verhältnis zu heute kulturmäßig völlig anders draufen Exemplaren unserer eigenen Spezies werden. Nebenbei würden diese häufig und gerne auch irgenwie moralbewegten und dann ebendeswegen naturgemäß schwer erträglichen Nostalgiker keinesfalls für sich in Anspruch nehmen wollen, einen genüßlichen Ver-ro-hungsprozess durchzumachen - am Ende gar, um sich einmal ein bißle von dem ganzen störenden Feinvierteloutdoorklamottenmoralschamott zu entlasten, befreien und richtig - Oiiinnnnkk!! GRUNZ! - die Sau herauszulassen. Neinnein! Absit !!

So betrachtet, also "ausgerechnet" (S. Töpperwien) wenn man ein bißchen aufpaßt, was man so vor sich hin plappert, schaut es wahrhaft so aus, als sei schon allein das Wort "Sprach-ver-ro-hung" ein einziger Humbug. Schlicht, weil etwas, das nicht schon oder nicht mehr roh ist, nicht noch oder wieder roh werden kann. Soweit zur einleuchtenden Evidenz des naiven Sprachstalkings (das leider nicht unter Kriminalstrafe steht). Blöd.

Trotzdem kann die Metapher funktionieren. Aber halt nicht so, daß man - kurz gesagt - immer bei jeder subjektiven oder, falls es das geben sollte, objektiven Grob- oder Saugrobheit aufjault und den Gröbling/ die Gröblingin, mithin die Gröbelungen, mit dem erhobenen Zeigefinger, dem Panier aller selbsternannten Sprach- und sonstigen Kulturgutswächter, im Anschlag der "Sprach-ver-ro-hung" zeiht. Sondern anders. Und mit Essen wird es dann wohl immer noch zu tun haben.