Wenn schon Klaas..., dann bitte Klever !

Haben Sie den Typen gekannt, über den sich jetzt alle aufregen? Oder schon mal was von ihm gehört? Wenigstens den Namen?

Nein? Uff, die Entität auch nicht - obwohl die Zeitung täglich aus Gewohnheit getreu gelesen wird.

Andererseits ist das naturgemäß auch wieder kein Wunder: Denn richtig aufregen tun sich eigentlich nur die, die ihn kennen und jetzt über ihn in erster Linie in den Zeitungen etc. schreiben, daß sie sich neuerdings sehr freuen, nicht er zu sein ("Lieber GOtt, ich danke Dir..."). Genauso wissen auch ausschließlich die, welche Schurrnallistenpreise der Mann und warum abgesahnt hat.

Ein Zeitungsleser weiß sowas nicht. Denn er liest ja bloß die Zeitung und nicht etwa absichtlich und ausgerechnet pfeilgerade nur Texte, die von Person X herausgedrückt worden sind, während er vielleicht Texte von Person Y nicht einmal mit dem Hinterquartier ansähe. So ist das nicht - bis auf mikromäßige Ausnahmen: So mußte man etwa die Sachen eines Hrn. Scheen über Afrika wegen des in sie eingebauten schon sehrsehr trockenen Humors unbedingt lesen, auch wenn man sich für Afrika nicht die Bohne interessiert hat. Aber sowas ist, wie gesagt, die totale Ausnahme. Und, ich bitte Sie: Wegen eines Claases macht man die doch nicht - schon wegen der allgemeinen Verdächtigkeit unnötiger "C"s in Vornamen (Curt, Claus,...).

Grund zur Aufregung?

Freilich möchte man meinen, daß auch ein Leser der clääsernen Texte sich aufregen dürfte: Wenn er nämlich gemeint hat, daß das alles so stimme, mithin wahr sei, weil praktisch: Bericht. Aber ob das jetzt wieder so einfach stimmt??

Es ist ja so: Was man so liest, hat der Mann sich ja gerne und oft Sachen ausgedacht, aufgeschrieben und als schurrnallistische Berichte, mithin als die lauterste Wahrheit, die man sich nur vorstellen kann, verkauft und recht gut davon gelebt. Gestimmt hat das Zeug halt oft nicht, aber entweder hat's keiner gemerkt oder keinen gekümmert oder sich's "irgendwie scho' au'" (J. Löw) gut gelesen und dabei irgendein feines Gefühlchen gemacht.

Jetzt ist die Frage, was sich der Mann ausgedacht hat.

Was man so liest, hat er sich irgendwelche eigentümlichen Tätigkeiten und Meinungen von irgendwelchen Individuen ausgedacht, die in irgendwelchen Weltwinkeln, womöglich Wisconsin oder Kamtschatka oder sonstwo, wohnen und dort ihr rührendes, empörendes oder sonstwie seltsames Dasein fristen und og. Tätigkeiten und Meinungen nachgehen. Man darf schon fragen, was eigentlich an der Existenz oder Nicht-Existenz solcher Schrate, Schrateusen oder meinetwegen gerne auch "tragischer Schicksale" liegt? Ob das irgendwie den Weltenlauf verändert? Ob das m.a.W. irgendwelchen Nachrichtenwert hat, berichtenswerter Gegenstand öffentlichen Interesses ist? Oder ob das vielleicht nur die Neugier als Todsünde, d. h. die Freude an doofen Lebenslagen, -gewohnheiten. -arten, die keinesfalls die eigenen sein dürfen, befriedigt?

Falls man nun in der Tat indiskret und Voyeur genug ist, um das zu mögen, kann man ja gern solche Individuengeschichtlein lesen. Nur scheint es völlig wurscht zu sein, ob sich diese so zugetragen haben, wie sie beschrieben worden sind, oder nicht. Die Welt bleibt grosso modo dieselbe, ob nun in Hinterwisconsin so oder anders herumgeameist wird oder nicht, und das Vergnügen des Lesers bleibt wohl auch weitgehend dasselbe. Also eigentlich kein Grund zur Aufregung, an dieser Stelle zumindest nicht.

Litterrratúrr und der Ruf des Qualitätsschurrnallisten

Aber an einer anderen, nämlich am und im brandenden Selbst- und Sendungsbewußtsein des sog. "Qualitätsschurrnallismus", hier vertreten durch ein Radiogespräch mit einer Fr. Augenstein (o.s.ä.) über jene "skandalösen" Umtriebe des Geschichtleinerfinders.

Worüber man sich dabei richtig solide aufregen kann, darf, soll aber war deroselben Antwort auf die Frage, ob sie nunmehr die "Reputation" des Gesichtsreflexionsflächenblättchens beschädigt sei, das die Elaborate des seinerzeitigen Superschurrnallisten offensichtlich dem Klafter nach gedruckt haben muß. Da nämlich sprach die Fr. Augenstein (o.s.ä.) und verneinte die Frage, weil es sich bei jenem Blättchen "ja um ein Nachrichtenmagazin und nicht um ein Literaturmagazin" handele.

Bauz, da hatte man's. Mit großer Arroganz und ohne jede Sachkenntnis herausgehauen. Man muß sich das wirklich in den Ganglien zergehen lassen, geradezu - eingedenk des Wochenblättchens - reflektieren.

Also beschädigt wäre der Ruf, wenn es ein Literaturmagazin wäre. Folglich sind die clääsernen Geschichten gar keine Nachrichten, sondern vielmehr Literatur. Und zwar offensichtlich schlechte, weil sonst der Ruf eines einschlägigen Magazins nicht beschädigt wäre. Es schwirrt einem der Kopf.

Darauf kann die Qualitätsschurrnallismusvertreterin eigentlich nur kommen, wenn sie denkt oder besser: weiß - weil solche Leute aufgrund der Qualität ihrer Arbeit gewiß nie denken, sondern immer nur wissen -, daß alles, was ausgedacht ist und in dieser Welt nicht vorkommt, also unwahr ist, Literatur sein muß, genauer: Produkt der Dichtkunst. Zu Bestätigung könnte man jetzt die Oberlehrermiene aufsetzen (die Fr. Augenstein [o.s.ä.] gewiß gut stünde) und darauf hinweisen, daß "schon Plato" gesagt habe, daß die (alle?) Dichter (zuviel?) lügen. Das mag alles sein, aber es tut halt leider nichts zur Sache. Denn auch wenn es wahr sein sollte, daß alle Dichter lügen (und lügen schlecht, schlimm, böse ist - was es zweifellos ist), folgt daraus doch noch bei weitem nicht, daß nur Dichter lügen, daß also die Lüge exklusiv Platz in der Dichtung (vulgo: Litterrratùr) fände und deren unverwechselbares Erkennungszeichen bilde.

Das ist zwar Unfug, aber trotzdem scheint das Fr. Augenstein (o.s.ä.) zu meinen, wenn sie meint, was sie sagt (und nicht etwa lügt). Unfug ist das deswegen, weil dann die kurznachrichtlichen Ergüsse einer zuckerwattehaarigen orangenen Fäulnis nicht in die Zeitung, sondern eher in handliche Lyrikbändchen gepackt werden müßten, oder weil dann das ganze Zeug, das aus einem zum Zerreißen gespannten KGB-Antlitz herausbröckelt, als SF-Roman zu gelten hätte usw. usf.

Der Ruf des sog. Qualitätsschurrnallismus wird nicht durch Schreiber ausgedachter Rührseligseltsamkeitsgeschichtlein ruiniert, die den Weg in sog. Nachrichtenmagazine finden, obgleich sie nicht einmal dann Nachrichten wären, wenn sie ausnahmsweise wahr wären. Der Ruf des sog. Qualitätsschurrnallismus wird durch sog. Qualitätsschurrnallisten ruiniert, die aus Denkfaulheit aufgrund eines Übermaßes an Weltwissen(seinbildung) nicht mehr zwischen Dichtung (vulgo: Literatur) und unwahrem, lügenhaften Gequatsche unterscheiden können (oder, noch schlimmer, diese Unterscheidung vielleicht gar nie gelernt haben oder sie für irrelevant halten).

Nicht einmal Klaas Klever wäre so etwas unterlaufen.